Review of a concert in Esslingen, Germany::
Venue: Dieselstraße, Esslingen Germany
March 30, 2003

Frisch wie Eis: Sunna Gunnlaugs

Der Isländische Jazz blüht cher im Verborgenen. Doch eine 32-jährige Jazzpianistin ist drauf und dran, das zu ändern. Sunna Gunnlaugs lebt — fünf Flugstunden von überschaubaren Reykjavik entfernt seit einem Jahrzehnt in New York. man kennt sie in der Knitting Factory und in der Washingtoner Blues Alley. Amerikanische Kritiker rücken sie voreilig in dei Nähe des herausragenden Tastenkünstler Bill Evans.

An eine Eisblume, an deren vergängliche Kristallschönheit, an kaleidoskopartige Formenvielfalt mag man denken, wenn - wie jetzt in der Dieselstraße - diese sensible, ausbalancierte Musik aufgeführt wird Darin scheinen isländische Natureinsamkeit und New Yorker Großstadtbetrieb aufgehoben zu sein. Solche Widersprüche kann moderner Jazz in sich aufnehmen, wenn er sich im Spannungsfeld von Festlegung und Spontaneität vielschichtig und raffiniert entfaltet.

In diesem Fall geschieht das zunächst zaghaft, fragend, wie in sich hineinhorchend. Das junge Quartett von Sunna Gunnlaugs geht mit dem musikalischen Material um, als ob eine fast vergessene Erinnerung ins Bequsstsein gehoben werden sollte. Erst ganz behutsam, dann immer selbstbewusster, kraftvoller u nd strahlender sind die Interaktionen und Chorusse. Verhalten swingend, melancholisch angehaucht, aber frisch wie Eis. Gunnlaugs' Schlagzeuger (und Lebenspartner) Scott McLemore stellt die Kontinuität des Thyhtmus sicher und setzt perkussive Akzente. Kontrabassist Matt Pavolka sorgt auch bei komplizierten Zwölftonreihen für Orientierung und Halt, während Saxofonist Loren Stillman, dessen Spiel von weit her an Garbarek erinnert, die Harmonien verdichtet und versinnlicht. Gunnlaugs selbst begleitet dezent und geschmackvoll, um beim Solo ihr Bestes zu geben und vollends aufzublühen.
Dieser bemerkenswerte jazz wuurde noch stuarker wirken, kämen einem dabei nicht bloß Eisblumen in den Sinn, sondern andere Aspekte isländischer natur, siedende Geysire etwa oder magmaheiße Vulkane. man erlebt Introspektion und Introversion, auf spontane Ausbrüche wartet man vergeblich.

—Thomas Staiber, Stuttgarter Zeitung